Stint-Rückgang gefährdet bedeutende Seeschwalbenkolonie
Neumünster, 10. April 2019:
Geringe Fangmengen und frühzeitiges Ende der Stint-Saison rufen auch die im Nationalpark und UNESCO-Welterbegebiet Wattenmeer tätigen Naturschutzverbände NABU, Schutzstation Wattenmeer, Verein Jordsand und Bündnis Naturschutz in Dithmarschen auf den Plan.
Wissenschaftler und Naturschützer haben als Verursacher die Unterhaltsmaßnahmen in der Elbe-Fahrrinne, also die in erheblichem Umfang erfolgenden Baggerungen und Verklappungen, im Verdacht. Durch den drastischen Rückgang der Stint-Bestände sind weitreichende und Besorgnis erregende Veränderungen im Ökosystem von Tideelbe, Elbästuar und dem angrenzendem UNESCO-Welterbegebiet Wattenmeer zu befürchten. Naturschützer und Wissenschaftler blicken mit großer Sorge auch auf die weitreichenden Maßnahmen der anstehenden 9. Elbvertiefung im Bereich des äußeren Elbästuars: die geplanten Strombauwerke und vor allem die Unterwasserablagerungsflächen (UWA) vor Neufeld und in der Medemrinne. Diese sollten aus Sicht der Wasserbauer notwendige Baggerarbeiten und Verklappungen mittel- und langfristig verringern. Sie stellen jedoch aus naturschutzfachlicher Sicht einen gravierenden Eingriff in das Ökosystem des Elbästuars und des angrenzenden Wattenmeers dar. Bis heute sind weder deren Funktionalität noch ihre Unbedenklichkeit für die Natur in der Elbemündung wissenschaftlich belegt. Mit großer Besorgnis wird festgestellt, dass die zugrundeliegenden Modellierungen der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) mittlerweile über 15 Jahre alt sind.
Seither sind die Berechnungsmethoden deutlich präziser geworden. Es erscheint mehr als fraglich, ob eine erneute Modellierung unter Einbezug des heutigen Wissensstands noch zu denselben Ergebnisse kommen würde. Der seit jeher von Naturschutz- und Wissenschaftsseite vorgebrachte Kritikpunkt, dass der Aspekt der Meeresspiegelerhöhung nur unzulänglich betrachtet wurde, sollte im Hinblick auf die aktuellen Prognosen der Weltwetterorganisation (WMO) noch dringender Beachtung erfahren.
NABU, Schutzstation Wattenmeer, Verein Jordsand und Bündnis Naturschutz in Dithmarschen fordern die BAW dazu auf, dringend ihre veralteten Berechnungen zu korrigieren. Zudem liegt seit 2017 ein durch die Umweltverbände BUND, NABU und WWF in Auftrag gegebenes wissenschaftlich erstelltes Gegengutachten vor, das, im Gegensatz zu den Ergebnissen der BAW, sehr wohl tiefgreifende Veränderungen durch die UWA Medemrinne im angrenzenden Dithmarscher Watt, Teil des UNESCO-Welterbegebiets Wattenmeer, prognostiziert. Eine fundierte Evaluierung der konträren Aussagen dieser beiden Gutachten vor Beginn der Baumaßnahmen ist zwingend erforderlich. Die Verbände fordern daher das Land Schleswig-Holstein auf, sich seiner Verantwortung im Sinne des Vorsorgeprinzips zu erinnern und zur Vermeidung eines erheblichen Umweltschadens
• sich unverzüglich für einen sofortigen Stopp der Bauarbeiten einzusetzen, bis eine Klärung der möglichen Auswirkungen auf das angrenzende UNESCO-Welterbegebiet vorliegt,
• eine unabhängige, wissenschaftliche Studie zu initiieren, die jeweils die Aussagekraft der sich widersprechenden Modellierungen von BAW und Naturschutzverbänden bezüglich der Auswirkungen auf die Medemrinne und das Dithmarscher Watt evaluiert und auf dieser Basis die Situation neu bewertet,
• dringend und vorsorglich Forschungs- und Monitoringprojekte initiiert, die die Funktion des Watt-Ökosystems im Elbästuar beleuchtet, auf deren Basis die bestmöglichen Entscheidungen für die Umsetzung von Maßnahmen basieren können.
Das Elbästuar ist eines der wenigen noch existierenden Flussästuare des Wattenmeers. Das UNESCO-Welterbegebiet und Nationalpark SchleswigHolsteinisches Wattenmeer grenzt unmittelbar an die Elbe. Die geplante UWA Medemrinne wird massive Auswirkungen auf die angrenzenden Wattflächen haben. Die Verbände fordern daher nachdrücklich das Land Schleswig-Holstein auf, sich seiner besonderen Verantwortung bewusst zu sein, und den drohenden Schaden für das UNESCO-Welterbe-Gebiet abzuwenden. Sonst könnte die Aberkennung dieses Titels drohen, wie schon einmal an der Elbe, Stichwort Elbtalauen und Waldschlösschenbrücke, geschehen, als Infrastruktur-Projekte der Vorrang vor dem Schutz von Welterbe-Gütern gegeben wurde.
Forschung in der Elbmündung im Dithmarscher Watt wegen widersprüchlicher Datenlage dringend erforderlich!
Die Hamburger Behörden sind aufgeschreckt durch die massiven Vorwürfe der Stintfischer, die sich durch die zurückgehenden Stintbestände um ihre Lebensgrundlage gebracht sehen. Sie haben die andauernden Baggerarbeiten in der Fahrrinne im Verdacht, dafür maßgeblich verantwortlich zu sein. Wissenschaftler der Uni Hamburg belegten in der NDR Dokumentation naturnah, dass hier offensichtlich tatsächlich ein Zusammenhang besteht. Die Hamburger Behörden scheinen nun endlich darauf reagieren zu wollen und geben derzeit wissenschaftliche Untersuchungen zu den Rückgangsursachen der Stinte in Auftrag.
Wie Wissenschaftler und Naturschützer mit Nachdruck betonen, sind durch den drastischen Rückgang der Stintbestände weitreichende und Besorgnis erregende Veränderungen im Ökosystem von Tideelbe, Elbästuar und dem angrenzendem Wattenmeer zu befürchten. Maßgebliche Ursache für den drohenden Umweltschaden sind Unterhaltmaßnahmen in der Elbe-Fahrrinne, also die in erheblichem Umfang erfolgenden Baggerungen und Verklappungen.
Die im Rahmen der aktuellen 9. Elbvertiefung geplanten Strombauwerke und vor allem die Unterwasserablagerungsflächen (UWA) vor Neufeld und in der Medemrinne sollen aus Sicht der Wasserbauer notwendige Baggerarbeiten und Verklappungen mittel- und langfristig verringern. Sie stellen jedoch aus naturschutzfachlicher Sicht einen gravierenden Eingriff in das Ökosystem des Elbästuars und des angrenzenden Wattenmeers dar. Bis heute sind weder deren Funktionalität noch ihre Unbedenklichkeit für die Natur in der Elbemündung wissenschaftlich belegt.
Die zugrundeliegenden Modellierungen durch die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) sind mittlerweile über 15 Jahre alt. Ein seit jeher von Naturschutz- und Wissenschaftsseite vorgebrachter Kritikpunkt betrifft die unzulängliche Betrachtung des Aspektes der Meeresspiegelerhöhung auf den durch die weitere Elbvertiefung zunehmenden Tidenhub entlang der Elbe und vor allem im Stadtgebiet Hamburgs. Seither sind die Berechnungsmethoden vielfach präziser geworden und es ist mehr als fraglich, ob eine erneute Modellierung unter Einbezug des heutigen Wissensstands noch zu den gleichen Ergebnissen kommen würde. Erst Ende März dieses Jahres hat die Weltwetterorganisation (WMO) neue Klima-Daten veröffentlicht, die einen weitaus dramatischeren Meeresspiegelanstieg prognostizieren als bislang angenommen. Auch wenn die Bauarbeiten augenscheinlich schon begonnen haben, sollte für die BAW die Möglichkeit bestehen, ihre Modellierungen entsprechend anzupassen.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig hat das 2017 durch die Umweltverbände vorgelegte wissenschaftliche Gutachten, das deutlich Auswirkungen der UWA Medemrinne-Ost auf die angrenzenden Wattflächen des UNESCO-Welterbegebietes Wattenmeer aufzeigt, bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt. Die konträren Aussagen zum Gutachten der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) wurden nicht überprüft. Der an die Medemrinne angrenzende Wattbereich ist dabei von herausragender Bedeutung. Das Dithmarscher Watt ist
• geprägt von feinem Schlick mit sehr hohen Beständen des Schlickkrebses, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine zentrale Rolle im ökologischen Nahrungsnetz spielen. Hierbei handelt es sich um einer der wenigen Orte im Wattenmeer, an denen entsprechende Sedimentverhältnisse herrschen.
• wichtiger Rast- und Mauserplatz von Brandgänsen, Knutts und anderen arktischen Brutvögeln,
• das Gebiet, in dem die in den benachbarten Salzwiesen brütenden Flussseeschwalben den Stint als Hauptnahrung fangen und wo die ehemals größte Kolonie Deutschlands dieser Art schon heute unter dem Rückgang des Stintbestandes zu leiden scheint,
• die in Deutschland vom Aussterben bedrohte Lachseeschwalbe mit nur noch wenigen Paaren in den angrenzenden Salzwiesen brütet. Sie ist dort auf die Nachbarschaft einer stabilen und großen FlussseeschwalbenKolonie angewiesen.
Die Wattenmeer-Umweltverbände fordern vom MELUND dringend und vorsorglich Forschungsprojekte zu initiieren, die die Bedeutung und Funktion dieses Watt-Ökosystems beleuchten. Die Dithmarscher Watten sind durch ihre großflächigen schlickigen Sedimente wattenmeerweit ein besonderer Lebensraum. Sie sind geschützt als Nationalpark und UNESCO-Welterbegebiet. Das MELUND sollte vorsorglich wissenschaftlich fundiertes Wissen darüber sammeln, in wieweit die anstehende Elbvertiefung mit ihren UWAs Neufeld und Medemrinne
• das Dithmarscher Watt und seine Funktion beeinflussen wird,
• und dadurch die Rastvogelbestände und die Fluss- und Lachseeschwalben-kolonien beeinträchtigen wird.
Im Neufelder Vorland liegt das Brutgebiet der bedrohten Lachseeschwalbe sowie deren als „Schirm“ fungierende Flussseeschwalben-Kolonie. Die ehemals größte Flussseeschwalben-Kolonie des Wattenmeers beheimatete ein Viertel des deutschen Brutbestands. Diese Flussseeschwalben sind zwingend auf Stinte als Nahrungsquelle angewiesen. Mit dem Rückgang der Elbstinte nahm in den vergangenen Jahren auch der Bestand der Flussseeschwalben dramatisch ab. Der gesamte Elbtrichter stellt mit hoher Wahrscheinlichkeit einen zentralen und unersetzbaren Aufwuchsraum für Elb-Stinte in ihren ersten beiden Lebensjahren dar.
Bis heute gibt es keine wissenschaftlich gesicherten Aussagen darüber, dass die UWA Medemrinne und Neufeld keine Auswirkungen auf die umliegenden Wattflächen haben werden. Im Gegensatz dazu gibt es ein Gutachten der Umweltverbände, das auf wissenschaftlichen Grundlagen zeigt, dass sich das Watt dort sehr verändern wird. Experten erwarten weiterhin, dass
• die Brutkolonie der Flussseeschwalben endgültig verschwinden wird, und mit ihr die Brutkolonie der in Deutschland vom Aussterben bedrohten Lachseeschwalbe. Die Lachseeschwalbe wird im Rahmen eines Artenschutzprojekts vom MELUND seit vielen Jahren mit hohem finanziellem Einsatz geschützt,
• das Dithmarscher Watt in unmittelbarer Nähe der Elbe als zentrales Mausergebiet von 50% des globalen und nahezu des gesamten mitteleuropäischen Bestands der Brandgans negativ beeinträchtig wird, weil ihre Nahrungsgrundlagen verschwinden könnten,
• das Dithmarscher Watt wichtiger Rastplatz vieler Zugvogelarten, darunter die Afro-Sibirische Unterart des Knutts, Säbelschnäbler und Sichelstrandläufer negativ beeinträchtig wird, weil ihre Nahrungsgrundlagen verschwinden könnten.
Das Land Schleswig-Holstein hat sich mit seiner Strategie für das Wattenmeer 2100 verpflichtet, Maßnahmen, die in die Funktion des Ökosystems eingreifen könnten, nur dann in Erwägung zu ziehen, wenn die Abschätzung ihrer Auswirkungen auf Grundlage wissenschaftlicher Kenntnis beruhen.
Deutschland hat bis 2022 den Vorsitz in der Trilateralen Wattenmeerkonferenz. Das Elbästuar ist eines der wenigen noch existierenden Flußästuare des Wattenmeers. Dieser Vorsitz verpflichtet, das Wattenmeer nach bestem Wissen und Gewissen gegen drohende Gefahren zu schützen. Das Sammeln wissenschaftlicher Kenntnisse steht hierbei am Anfang von umfassenden Naturschutzmaßnahmen.
Das Elbästuar ist eines der wenigen noch existierenden Flußästuare des Wattenmeers. Als aktuelle Vorsitzende in der Trilateralen Wattenmeerkonferenz ist die Bundesrepublik Deutschland, und mit ihr die Wattenmeer-Nationalpark Länder Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, in besonderer Verantwortung, drohenden Schaden für das UNESCO-Welterbe-Gebiet abzuwenden, da sonst die Aberkennung dieses Titels drohen kann, wie schon einmal an der Elbe, Stichwort Elbtalauen und Waldschlösschenbrücke, geschehen, als Infrastruktur-Projekte der Vorrang vor dem Schutz von WelterbeGütern gegeben wurde. Das UNESCO-Welterbe-Gebiet feiert derzeit seinen 10. Geburtstag – ein Grund mehr, sich für den Erhalt eines gesunden Wattenmeers für die nachkommenden Generationen einzusetzen.
weitere Informationen:
Presseinformation, 12.04.2019
Herausgeber: Naturschutzbund Deutschland e.V.
NABU Schleswig-Holstein
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Tel.: 04321/53734, Fax: 04321/59 81
E-mail: info@NABU-SH.de
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