( Charadrius hiaticula)
Artensteckbrief des Sandregenpfeifer
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Ahrensburg – Der Verein Jordsand zum Schutz der Seevögel und der Natur e.V. hat den Sandregenpfeifer zum „Seevogel des Jahres 2018“ gewählt. Der Rückgang dieses bunten Watvogels sei dramatisch, berichtet Dr. Erika Vauk-Hentzelt, amtierende Vorsitzende des Vereins Jordsand. „In unseren Schutzgebieten an Nord- und Ostsee ist die Zahl der brütenden Sandregenpfeifer in den letzten 30 Jahren auf etwa ein Drittel eingebrochen“, so die Biologin. Auf der Insel Sylt war der kleine Vogel einst besonders zahlreich vertreten. In den 1950er und 1960er Jahren brüteten an dem vom Verein Jordsand betreuten Rantumbecken noch 60 bis 70 Paare. „Heute ist er dort verschwunden“, beklagt Vauk-Hentzelt. Auf der gesamten Insel zogen Anfang der 1970er Jahre über 600 Paare ihre Jungen auf, inzwischen ist die Zahl auf höchstens 25 gesunken. Der Sandregenpfeifer zählt im Wattenmeer zu den Brutvogelarten mit den stärksten Verlusten. An der Ostsee sieht es nicht viel besser aus: In dem Jordsand-Schutzgebiet Schleimünde konnte der Vogelwart 1979 noch 40 Nester zählen, heute findet er dort gerade noch zwei bis fünf. Aktuellen Angaben zufolge gibt es deutschlandweit etwa 1000 Brutpaare des Sandregenpfeifers, nach der Roten Liste der Brutvögel ist er hierzulande vom Aussterben bedroht.
Seinem Namen alle Ehre machend bevorzugen Sandregenpfeifer als Brutplatz frische und weitgehend vegetationslose Sandanspülungen, die es heute kaum noch gibt. Mit dem Bestreben, Inseln und Halligen sowie das Festland gegen Sturmfluten zu sichern, wird eine natürliche Küstendynamik mehr und mehr verhindert. Uferbereiche werden festgesetzt und wachsen, begünstigt durch ein menschengemachtes Überangebot an Nährstoffen, zu. Außerdem drängt ein seit Jahrzehnten zunehmender Tourismus auf die Strände, einen ebenfalls sehr wichtigen Brutplatz des Sandregenpfeifers. „Dort, wo wir im Sommer unsere Handtücher ausbreiten, liegt eigentlich der Lebensraum von Tieren“, erläutert Vauk-Hentzelt. „Deshalb schützen wir kleine Strandbereiche, etwa auf der Helgoländer Düne, wenn wir dort ein Sandregenpfeifer-Gelege feststellen.“ Diese Arbeit sei vor allem außerhalb der geschützten Gebiete wichtig. Auch zu verhindern, dass Beutegreifer wie etwa der immer häufiger werdende Fuchs über die Eier und Küken der am Boden brütenden Vögel herfällt, stelle einen wichtigen Baustein der Schutzbemühungen des Vereins Jordsand dar.
Im kommenden Jahr wollen die Seevogelschützer ein besonderes Augenmerk auf den kleinen Sandregenpfeifer richten und die Bevölkerung für den Nutzungskonflikt an den Stränden sensibilisieren. „Dabei geht es uns nicht darum, die Badegäste zu vertreiben, sondern Verständnis dafür zu wecken, dass kleinere Bereiche einem brütenden Vogelpaar vorbehalten werden müssen“, betont die Jordsand-Vorsitzende. Außerdem sei es wichtig zu prüfen, ob einzelne Küstenabschnitte der natürlichen Dynamik von Strömungen, Wind und Wellen überlassen werden können, sodass sich neue Sandaufspülungen und damit Bruthabitate entwickeln. Angesichts des auch an Nord- und Ostsee merklich steigenden Meeresspiegels ist dies dringend erforderlich.
Äußerlich fällt der knapp starengroße Sandregenpfeifer vor allem durch seinen orangefarbenen Schnabel mit schwarzer Spitze und die im Brutkleid orange leuchtenden Beine auf. Das markante schwarze Brustband brachte ihm seinen dänischen Namen „Stor Præstekrave“ ein, was Großer Priesterkragen bedeutet. Wenn sich ein Feind – oder Mensch – dem Nest nähert, trippelt der Sandregenpfeifer ein paar Meter davon und stellt sich flügellahm, um den potentiellen Angreifer zu „verleiten“. Typisch für die Regenpfeifer läuft auch der Sandregenpfeifer in einer „Start-Stopp-Technik“: Meist verharrt er für eine kurze Weile, läuft dann für eine kleine Strecke unvermittelt los und stoppt ebenso plötzlich wieder. Seine Nahrung findet er während dieser „Start-Stopp-Läufe“ visuell. Rufend lässt der Seevogel des Jahres 2018 ein weich flötendes „dü-ip“ hören. Jetzt im Herbst und Winter verweilen unsere Sandregenpfeifer von Nord- und Ostsee in ihren Winterquartieren zwischen Frankreich und Marokko. „Hoffen wir, dass sie im Frühjahr wohlbehalten wieder in unsere Schutzgebiete zurückkehren“, so Vauk-Hentzelt.
Seit über 100 Jahren hat sich der Verein Jordsand dem Schutz von Seevögeln an unseren Küsten verschrieben. Er betreut über 20 Schutzgebiete vorwiegend an Nord- und Ostsee, von Helgoland über das nordfriesische und hamburgische Wattenmeer, die Unterelbe, bis zur schleswig-holsteinischen und vorpommerschen Ostseeküste rund um Rügen. Seit fünf Jahren ernennt der Verein Jordsand einen seiner Schützlinge zum Seevogel des Jahres. Nach dem Austernfischer (2014), der Brandseeschwalbe (2015), dem Basstölpel (2016) und der Eisente (2017) wurde der Sandregenpfeifer nun zum Seevogel des kommenden Jahres bestimmt.
Ordnung: Charadriiformes – Regenpfeiferartige
Familie: Charadriidae – Regenpfeifer
Art: Sandregenpfeifer (Charadrius hiaticula Linnaeus 1758)
Unterarten: Ch. h. hiaticula, Ch. h. tundrae und Ch. h. psammodroma
Verbreitung: In gemäßigten und borealen Zonen sowie Tundren Europas und Asiens verbreitet. Ch. h. hiaticula erreicht die südlichste Ausdehnung des Brutgebiets der Art im Nord- und Ostseeraum sowie auf den britischen Inseln. Ch. h. tundrae brütet von Nord-Skandinavien bis ins östliche Sibirien (überwintert vom südlichen Kaspischen Meer bis Indien und Süd-Afrika). Ch. h. psammodroma brütet von Nordost-Kanada über Grönland und Spitzbergen bis Island und Färöer (überwintert in Südwest-Europa bis ins südliche Afrika). Europäische Brutgebiete v.a. im Norden, mitteleuropäische Populationen kleiner. Winterquartiere in weiten Teilen Afrikas, in Vorderasien und in Westeuropa. Zu unterscheiden ist der Amerikanische Sandregenpfeifer (Semipalmated Plover, Charadrius semipalmatus), der in den USA und Kanada brütet und in Mittel- bis Südamerika überwintert. In Nordost-Kanada kommt es zur Hybridisierung mit Charadrius hiaticula.
Lebensraum: Brütet auf weitgehend vegetationslosen Flächen (Sand und Kies, schüttere Salzwiesen), bevorzugt küstennah, in Deutschland fast ausschließlich direkt an Nord- und Ostsee (60% im Wattenmeer, davon 2/3 in Schleswig-Holstein und 1/3 in Niedersachsen). Hier bevorzugt er dynamische Küstenlebensräume mit Stränden, Strandwällen, Nehrungshaken und Primärdünen, aber auch Naturschutzköge mit entsprechendem Management. Nördliche Populationen brüten in der Zwergstrauchtundra. Durchzügler rasten in großer Zahl im Wattenmeer. Im Binnenland sind sie deutlich seltener anzutreffen, dort meistens an Binnengewässern und in Lebensräumen mit Schlammflächen, auch in Kiesgruben.
Bestand: Weltbestand 415.000-1,4 Mio. Individuen (2015). Brutbestand in Europa aktuell 140-213 Tsd. BP (2015), Trend abnehmend. In Deutschland 950-1.100 BP (2005-09).
Kennzeichen: Kompakter, fast starengroßer Watvogel mit kurzem Schnabel. Rücken und Oberflügel sind hellbraun-graubraun gefärbt, die Unterseite weiß. Im Flug ist deutlich ein weißer Flügelstreif erkennbar. Geschlossenes, breites schwarzes Brustband. Der Kopf ist kontrastreich schwarz-weiß-braun gezeichnet. Der Schnabel verfügt über eine schwarze Spitze und ist im Prachtkleid an der Basis leuchtend orange gefärbt, ebenso die Beine. Beim Weibchen sind die schwarzen Partien blasser. Im Schlichtkleid sind die Beine matt orange, der Schnabel durchgehend dunkel und die schwarzen Gefiederpartien grau. Jungvögel sind ähnlich gefärbt, die Beine jedoch schmutzig-gelb bis bräunlich, und das Brustband ist vorne oft nicht geschlossen. Mauser bei Ch. h. tundrae zusätzlich vor, sonst hauptsächlich nur nach der Brutzeit (Prä- bzw. Postnuptialmauser). Maße: Gesamtlänge 180-200 mm, Flügelspannweite 480-570 mm, mittleres Gewicht 42-78 g. Stimme: Ruft weich flötend „dü-ip“ (mit Betonung auf der zweiten Silbe).
Brut: Einzelbrüter, meist verstreut, in optimalen Küstenhabitaten mehr als 3 BP pro Hektar möglich. Geschlechtsreif ab dem 1. Lebensjahr. Monogame Saisonehe, mehrjährige Gattentreue. Legebeginn ab April, lokal ab Mitte März, Hauptlegezeit Anfang Mai. Gelegegröße: 4 1 Eier. Brutdauer: 21-28 Tage. Nestlingszeit: ca. 24 Tage. Beide Elternteile führen die Jungen. 1-2 Jahresbruten.
Bruterfolg: An unseren Küsten niedrig, genaue Angaben fehlen.
Alter/Sterblichkeit: Generationslänge: < 3,3 Jahre. Ältester Ringvogel älter als 20 Jahre 10 Monate.
Nahrung: Wirbellose wie Krebstiere, Würmer, Muscheln, Schnecken, Kopffüßer, Insekten, Spinnen (Mollusken, Arthropoden, Polychaeten); Nahrungszusammensetzung abhängig vom Aufenthaltsort. Benötigt audio-visuelle Signale zur Jagd, daher werden nur sich bewegende Tiere gefressen. Aufscheuchen der Beute durch Fußtrampeln.
Verhalten: Läuft wie alle Regenpfeifer in einer „Start-Stopp-Technik“ an der Wasserkante entlang: Nach kurzem regungslosem Verharren legt er mit schnellen Schritten eine kleine Strecke zurück, um ebenso plötzlich wieder zu stoppen. Zum Schutz von Gelege oder Küken werden Feinde durch das Imitieren von Verletzungen verleitet.
Wanderungen: Kurz- bis Langstreckenzieher. Rastvorkommen insbesondere an den Küsten, vereinzelte Durchzügler im Binnenland. Herbstzug in Deutschland von Juli bis Oktober in überwiegend süd-westliche Richtung, Frühjahrszug möglicherweise weiter östlich und in zwei Wellen: im März Brutvögel des Nord- und Ostseeraums, im Mai nordeurasische Brutvögel (Ch. h. tundrae). Winterquartier der Nordseevögel hauptsächlich in West-Europa bis Frankreich, der Ostseevögel in Südwest-Europa bis Marokko.
Gefahren: Fehlende Bruthabitate durch Mangel an natürlicher Küstendynamik und Flächenverlust durch Wasserbau / Küstenschutz; Zuwuchs freier Flächen (Sukzession) u.a. durch Eutrophierung und Pflanzungen; Überflutung der Brutplätze durch steigenden Meeresspiegel; Störung der Brutaktivitäten durch intensiven Küsten-Tourismus; Konzentration auf wenige und z.T. kleine Schutzgebiete, insbesondere dort Prädation durch Fuchs (Vulpes vulpes L.) und andere Raubsäuger.
Schutzstatus: Nach der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands (2015) vom Aussterben bedroht bei starker Abnahme über die letzten 25 Jahre. Nach HELCOM im Ostseeraum nahezu gefährdet (near threatened), Grund: teilweise starker Rückgang mancher Populationen. IUCN Red List: unbedenklich (least concern), Grund: sehr großes Verbreitungsgebiet, sehr große Population, Populationsrückgang langsam.