Baby-Boom auf Norderoog – Küken platzen aus allen Nähten

In diesem Jahr hat alles gestimmt: keine verheerende Sommersturmflut zur Brutzeit, ausreichend Fisch für die Küken in der richtigen Größe und alles in allem gute Wetterbedingungen. Das Ergebnis: Ein überwiegend sehr guter Brut- und Schlupferfolg mit Küken, die so gut genährt sind, dass sie teilweise schwerer als die Altvögel sind und erst wieder an Gewicht verlieren müssen, um fliegen zu können.

 

So lässt sich zumindest erst einmal ganz allgemein der Bruterfolg auf Hallig Norderoog zusammenfassen. Erst recht im Vergleich zu Jahren mit geringem Bruterfolg, wie z.B. 2018 aufgrund schlechter Nahrungsverfügbarkeit und Hitze oder 2020 aufgrund eines verheerenden Landunters, verheißt 2021 ein gutes Jahr zu werden. Zwar könnte ein Landunter jetzt im Juli immer noch Schäden an späten Bruten anrichten, aber von den bisher geschlüpften Küken sind die meisten mittlerweile flügge oder werden es in den nächsten Tagen und haben eine so gute körperliche Kondition, dass sie zumindest in der nächsten Zeit gut über die Runden kommen werden.

 

Von großer Bedeutung für diesen guten Bruterfolg ist zum einen wie bereits erwähnt, dass es im Juni auf Norderoog kein Landunter gegeben hat. Bei den beiden Springtiden Anfang und Ende Juni stieg das Wasser nur 40 bzw. 30 cm höher auf als das MTHW (mittleres Tidehochwasser), sodass die Vorländer in den Lahnungsfeldern und die Priele innerhalb der Hallig gut gefüllt waren, es aber höchstwahrscheinlich zu keinen oder nur sehr geringen Gelegeverlusten kam.

Springtide Ende Juni mit 30 cm über dem MTHW. Foto: Sebastian Blüm

Das ist keine Selbstverständlichkeit, im Gegenteil: In den letzten 40 Jahren sind die maximalen Wasserstände zur Springtide zweimal so schnell angestiegen wie das MTHW. Vor allem in der zweiten Juni-Hälfte, also wenn die meisten Küken schon geschlüpft, aber noch nicht flügge sind, treten solche erhöhten Wasserstände immer öfter auf – meist im Zusammenhang mit starken Westwinden (van de Pol et al 2010.). Welche Auswirkungen dies auf den Bruterfolg haben kann, hat z.B. das Landunter auf Norderoog Anfang Juni letzten Jahres gezeigt, als der Großteil der Hallig überflutet war und u.a. die Lachmöwen und Löffler, die in den niedriger gelegenen Hallig-Bereichen brüteten, einen Großteil ihrer Küken verloren (Heimbach et al. 2020).

 

Nun macht eine Schwalbe bekanntlich noch keinen Sommer und so ist auch ein ausbleibendes Landunter allein noch kein Garant für einen guten Bruterfolg. Wenn die Nahrungsverfügbarkeit schlecht ist, d.h. es wenige Fische in der richtigen Größe gibt und somit überwiegend Nahrung von „minderer Qualität“ (z.B. Strandkrabben, Garnelen oder Seenadeln) verfüttert wird, kann dies dazu führen, dass die Küken gerade in den ersten Tagen und Wochen ihres Daseins nicht über die Runden kommen – wie es z.B. 2018 auf Norderoog teilweise vorgekommen ist (vgl. Keil 2018). Auch dies war in 2021 nicht der Fall. Ab der zweiten Maihälfte konnte ich fast täglich beobachten, wie mehrere Hundert Lachmöwen im auflaufenden Wasser an der Ostseite des Norderoogsands nach Nahrung suchten. Mühsam schien diese Nahrungssuche nicht gewesen zu sein, denn sie mussten sich quasi nur mit geöffnetem Schnabel ins Oberflächenwasser fallen lassen und hatten schon „den Schnabel voll“.

 

Auf Norderoog lassen sich die Nahrungsflüge v.a. der Küstenseeschwalben ideal beobachten, da diese sehr nah an den Hütten brüten und mit ihrer jeweiligen Beute ganz stolz erst 78-mal um die Hütten fliegen, bevor die Küken davon etwas abbekommen. Währenddessen lässt sich der erbeutete Fisch gut fotografieren – und da gab es ganz überwiegend: Hering. Hering in Massen, denn in den letzten Wochen sind die von den drei unterschiedlichen Laichplätzen in der Nordsee geschlüpften Heringe (Schottland / Shetlandinseln, Doggerbank (Ostengland) und Ärmelkanal (Muus & Nielsen 2013)) nacheinander im Wattenmeer angekommen. Für die Küken gab es somit ein üppiges und v.a. mundgerechtes Nahrungsangebot. („Hering“ steht hier stellvertretend für die Familie der Heringe (Clupeidae), denn Hering und Sprotte (ebenfalls zu dieser Familie zählend) lassen sich im Schnabel einer Seeschwalbe aus einiger Entfernung nur schlecht unterscheiden. Dennoch lässt sich vermuten, dass tatsächlich mehr Heringe als Sprotten verfüttert wurden.)

Links: Küstenseeschwalbe mit einem Hering im Schnabel, rechts: Fütterung eines Küstenseeschwalben-Küken mit (ausnahmsweise) einem Plattfisch. Fotos: Sebastian Blüm

Am 23. Mai erblickten die ersten Rotschenkel-Küken das Licht der Welt und wenige Tag später folgten Lachmöwen, Küsten- und Brandseeschwalben. Seitdem flauscht es überall auf der Hallig herum und mittlerweile verlassen die ersten Brandseeschwalben ihre jeweilige Kolonie, um mit ihren Küken in die Vorländer und die trockengefallenen Tümpel zu ziehen und ihnen das Fliegen beizubringen. Auch die ersten halbstarken Küstenseeschwalben fliegen bereits um die Hütten herum. Manch ein Flugversuch endet dabei bisweilen eher abrupt im hohen Gras – oder in der Regenrinne der großen Hütte. Ein Anblick, den es außerhalb von Norderoog wohl kaum zu sehen gibt. (Keine Angst, die Küstenseeschwalbe hat es wieder aus der Rinne herausgeschafft und wurde dort sogar gefüttert. Und womit? Richtig: mit Hering.)

Links: Küstenseeschwalbe-Küken in der Regenrinne der Vogelwarthütte, rechts: Flugschule für Brandseeschwalben. Fotos: Sebastian Blüm

Zum jetzigen Zeitpunkt mit genauen Brutpaarzahlen um mich zu werfen, wäre zwar zu früh, da es immer noch Nachzügler von anderen Standorten gibt und nach wie vor neue Gelege gebaut werden. Zudem müssen die Fotos, die von der Lachmöwen- und Brandseeschwalbenkolonie mithilfe eines Drohnenflugs durch Dr. Veit Hennig von der Universität Hamburg aufgenommen wurden, noch ausgewertet werden, aber eine grobe erste Abschätzung sei Euch nicht vorenthalten: Die Brandseeschwalben liegen mit ca. 3.000 Brutpaaren im Mittel der letzten Jahre, ebenso die Lachmöwen mit gut 3.200 Brutpaaren und die Küstenseeschwalben mit ca. 90 Brutpaaren (Zählung jeweils von der Vogelwarthütte aus).

 

Erfreulicherweise liegt der Bruterfolg der Flussseeschwalben in diesem Jahr mit mindestens 165 Brutpaaren fast 5-mal so hoch wie im Mittel der letzten sechs Jahre (Heimbach et al. 2020). Bereits von Anfang an hatten sich mit ca. 90 Brutpaaren überdurchschnittlich viele Flussseeschwalben um die Hütten herum angesiedelt. Kurze Zeit später bildete sich wie in den letzten Jahren auch eine Flussseeschwalben-Kolonie im südlichen Halligbereich. Diese umfasst nun ca. 70 – 80 Brutpaare, viele davon sind möglicherweise Nachzügler von Hallig Hooge, da dort große Teile der Flussseeschwalben-Kolonien durch Ratten prädiert wurden (Hennig, mündlich). Lediglich bei den Austernfischern und Silbermöwen gab es einen leichten Rückgang. Erfreulicherweise sind die Brutpaarzahlen der Großmöwen in der Düne auf dem Norderoogsand mit ca. 450 Heringsmöwen- und 410 Silbermöwenpaaren im Vergleich zu den letzten Jahren aber nochmal deutlich angestiegen. Auch die Zwergseeschwalben-Kolonie im Südosten des Norderoogsands konnte zulegen und umfasst nun gut 40 Brutpaare. Wie gut die brütenden „Zwerge“ auf der nur leicht erhöhten Schillfläche und erst recht ihre Gelege getarnt sind, zeigt nachfolgendes Foto.

Die Zwergseeschwalben sind gut getarnt auf dem Norderoogsand kaum zu entdecken. Foto: Sebastian Blüm

Und was ist mit den Löfflern? Nun, die haben dazugelernt. Nachdem sie sich wochenlang nicht mehr auf Norderoog hatten blicken lassen, war ich umso erstaunter und glücklicher, als ich bei einer Vogelzählung auf der Düne des Norderoogsands plötzlich vier Löffler in meinem Spektiv sah. Sofern es dieselben Individuen sind, die im letzten Jahr erstmals auf Norderoog (erfolglos) gebrütet hatten, haben sie sich eventuell an diesen überflutungsgefährdeten Standort erinnert und sich die wesentlich höher gelegene Düne auf dem Norderoogsand ausgesucht. Dort brüten nun 5 Paare und die ersten Löffel-Küken sind bald schon flügge. Es ist also durchaus wahrscheinlich, dass sich dieser neue, überflutungssichere Brutplatz für die Löffler etablieren könnte.

Löffler-Küken im Nest auf dem Norderoogsand. Foto: Sebastian Blüm

Die Düne auf dem Norderoogsand scheint also immer mehr Brutvögel anzuziehen – und setzt sich auch mit der Sonne fast jeden Abend sehr gut in Szene:

Der Norderoogsand erstrahlt im Sonnenuntergang. Foto: Sebastian Blüm

Kükenreiche Grüße von Norderoog, Euer Sebastian & 7.883 Brandseeschwalben

 

Quellen:

Deutscher Wetterdienst (DWD) (2021a): Deutschlandwetter im April 2021 [online]. Verfügbar unter: https://www.dwd.de/DE/presse/pressemitteilungen/DE/2021/ 20210429_deutschlandwetter_april2021.html [02.07.2021]

Deutscher Wetterdienst (DWD) (2021b): Deutschandwetter im Mai 2021 [online]. Verfügbar unter: https://www.dwd.de/DE/presse/pressemitteilungen/DE/2021/ 20210531_deutschlandwetter_mai2021_news.html [02.07.2021].

Heimbach, E., Walter, E. & Hennig, V. (2020): Hallig Norderoog & Norderoogsand. Jahresbericht 2020. Ahrensburg: Verein Jordsand zum Schutz der Seevögel und der Natur e.V.

Keil, A. (2018): Hallig Norderoog & Norderoogsand. Jahresbericht 2018. Ahrensburg: Verein Jordsand zum Schutz der Seevögel und der Natur e.V.

Muus, B.J. & Nielsen, J.G. (2013): Meeresfische Europas. Stuttgart: Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG.

van de Pol, M., Ens, B.J., Heg, D., Brouwer, L., Krol, J., Maier, M., Exo, K.-M., Oosterbeek, K., Lok, T., Eising, C.M. & Koffijberg, K. (2010): Do changes in the frequency, magnitude and timing of extreme climatic events threaten the population viability of coastal birds? Journal of Applied Ecology, 47, 720-730.

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