Nun ist sie schon wieder vorbei, meine Zeit auf der Hallig, sieben Monate, die mir am Anfang so unendlich lang erschienen und die dann wie im Flug vergingen.
Seit meinem letzten Bericht ist Einiges geschehen. Sah es Ende Juni noch so aus, als ob es ein sehr gutes Jahr für die Brutvögel Norderoogs werden würde, folgte Anfang Juli ein böses Erwachen: Wind aus Nordwest peitschte die Nordsee auf, sodass die Fluten immer höher stiegen und schließlich in die Salzwiesen krochen, wo sie alle noch nicht ausgebrüteten Eier sowie die kleineren Küken mit sich nahmen oder so schwächten, dass sie an den Folgen starben. Eine Kükenflut, ein riesiger Schock für mich, ein riesiger Verlust für die Brutvögel. Nur die schon großen, (fast) flüggen Küken überlebten, unter ihnen zum Glück viele Brandseeschwalben, die früh mit dem Brüten begonnen hatten.
Zusätzlich hielten mich die Wanderratten auf Trab. Trotz meiner Bemühungen schaffte ich es nicht, sie vollkommen von der Hallig zu vertreiben. Obwohl ihre Zahl während der Brutzeit auf wenige Individuen reduziert war, reichten diese aus, um große Schäden anzurichten. Die Fluss- und Küstenseeschwalben beispielsweise, die um die Holzhütten ihre Kolonien gegründet hatten und die ich so wunderbar beim Balzen beobachten konnte, wurden immer wieder prädiert, sodass diese Saison keines ihrer Küken älter als wenige Tage wurde. Wen die Problematik um die Wanderratten interessiert, der kann in der nächsten Ausgabe der Seevögel (Band 44 Heft 3/4) einen Artikel lesen, den ich zu diesen Geschehnissen verfasst habe.
Trotz dieser deprimierenden Ereignisse waren meine Sommer- und Herbstmonate auf der Hallig auch von wunderschönen Beobachtungen geprägt und ein Ausbruch der Vogelgrippe blieb – zum Glück! – diese Saison unter den Brutvögeln aus. Obwohl ich nicht so viele flügge Jungvögel im Watt beobachten konnte, wie ich mir gewünscht hätte, schätzte ich diejenigen, die ich sah, umso mehr. Die Brandseeschwalben machten es mir einfach. Die Eltern blieben mit ihrem Nachwuchs nach der Kükenflut noch gut zwei Wochen auf der Hallig und übten fleißig mit ihnen fliegen und fischen.
Nachdem sie loszogen, folgte ab Ende Juli eine Zeit des Umbruchs: Die Brutvögel waren verschwunden, nur noch letzte Nachzügler hielten sich auf Norderoog auf. Der Herbstzug hatte noch nicht vollends begonnen und um mich war es auf einmal ungewöhnlich still. Für mich begann nun eine Zeit des Erkundens. Hatte ich vorher die Salzwiese der Hallig nicht betreten, um die Vögel nicht zu stören, konnte ich dies nun tun. Ich entdeckte Priele, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gab, und schaute aus ungewohnten Perspektiven zurück auf die Holzhütten. Ich lief die Lahnungen ab und lotete dabei aus, wie tief man wo im Schlick stecken bleibt. Auch den wunderschön blühenden Halligflieder, der für den Hallig-Sommer steht wie kein anderer, konnte ich aus nächster Nähe betrachten.
Dann war es so weit, sie kamen wieder, die Vögel, und das in Massen! Im September und Oktober beobachtete ich riesige Schwärme von Zugvögeln, die auf ihrem Weg von Sibirien nach Afrika um Norderoog im Wattenmeer nach Nahrung suchten und bei Flut auf dem Norderoogsand rasteten. Auf einmal hatte ich das Gefühl, in einer „Dazwischen“-Zeit zu leben. Waren in der Brutzeit die Stunden um Hoch- und Niedrigwasser die interessantesten, waren es nun die Stunden in der die Flut kam und ging: Es trippelten und wateten, gleiteten und rasten geschäftige Alpenstrandläufer, Knutts, Kiebitzregenpfeifer, Pfuhlschnepfen und Brachvögel an mir vorbei ins und aus dem Watt, hin und her, immer auf der Suche nach der nächsten Mahlzeit. Später gesellten sich die Ringelgänse und Pfeifenten zu ihnen. An ihren anmutigen Flugformationen, meterhoch und unberechenbar, konnte ich mich nicht sattsehen und stand unzählige Male tief ergriffen, die Hände fest um mein Fernglas, auf dem Hüttenumlauf, um ihnen bei ihren Manövern zuzuschauen. Die überwältigenden Momente, während derer einer dieser Schwärme entschied, direkt über mich hinweg zu fliegen und für mich kurz nur noch das Rauschen von Tausenden von Flügeln zu hören war, sind unbeschreiblich und werden mir für immer im Gedächtnis bleiben.
Schließlich kam sie, die Zeit des Abschieds. Wie die Blumen der Salzwiese verblühten und ihre Samen mit den Herbstwinden durch die Luft und mit den Herbstfluten durch das Wasser wirbelten, die Vögel mit einem letzten Ruf nach Süden zogen, so zog ich mit ihnen, fort von der Hallig, dem Festland entgegen. Während meiner Zeit auf Norderoog habe ich unzählige witzige, wunderschöne sowie traurige, faszinierende und bewegende Momente erlebt.
Danke – für jeden einzelnen Augenblick.
Danke an alle Leserinnen und Leser, für euer Interesse an Norderoog, den Vögeln und meinen Erlebnissen.
Danke, an all die Menschen, die mir meinen Aufenthalt ermöglicht, mich unterstützt und sich für den Erhalt der Hallig und des Ökosystems Wattenmeer eingesetzt haben und dies unermüdlich weiterhin tun! Ohne euch würde es Norderoog in dieser Form nicht geben.
Eure Elisabeth
Das Video von Elisabeth über ihre Zeit auf der Hallig:
